Polen, Schweden, Dänemark, Deutschland - Von Danzig nach Rostock
- M.K.
- 4. Jan. 2021
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 13. Jan. 2021
Reisezeit: 16 Tage (inkl. Ruhetagen)
Fahrradstrecke: ca. 780 km
Zeitraum: Anfang bis Mitte August 2020
Schwierigkeit: 4/10
Anreise von Stuttgart nach Danzig
Die Fahrradtour von zu Hause aus starten ist am Gemütlichsten, aber diesmal entschieden wir uns für einen etwas exotischeren Startpunkt - die historische polnische Stadt Danzig. Die Anreise in den Geburtsort der Gewerkschaft Solidarnosc gestaltete sich relativ problemlos. Nach einigen Recherchen reisten wir von Stuttgart mit dem ICE nach Berlin und stiegen dann in einen Zug der polnischen Zugesellschaft PolRail um, der mehrmals täglich über Posen und einige weitere kleinere Orte in Polen ohne Umstieg nach Danzig fährt. Da die Fahrradplätze in den ICEs besonders im Sommer sehr früh vergriffen sind, waren wir gezwungen, die Fahrräder in Fahrradsäcken zu verstauen. Die Abnahme des Vorderrads reicht, um die Fahrräder in den Säcken unterzukriegen. Die Deutsche Bahn erlaubt dies und betrachtet die Säcke als normales Gepäckstück, solange man sie nicht klar als Fahrrad identifizieren kann und die Säcke gut im Zug verstaut sind.
Besondere Highlights auf der Zugstrecke von Berlin nach Danzig ist neben den Pierogis und dem polnischen Bier im sehr schicken Bordbistro auch die größte Christusstatue der Welt. Das 2010 fertiggestellte kolossale Beton-Monument – ein Herzensprojekt des örtlichen Gemeindepfarrers Sylwester Zawadzki – ist 36 Meter hoch (6 Meter höher als die Statue in Rio) und wiegt über 15 Tonnen. Zawadzki hat in seinem Testament vermerkt, dass er zu Füßen des Monuments begraben werden möchte. Sein Nachfolger gestattete ihm diesen Wunsch und wurde im Nachhinein des Amtes enthoben, da Bestattungen in Polen nur auf Friedhöfen stattfinden dürfen. Die Statue ist auf jeden Fall auf der Zugfahrt nicht zu übersehen und sorgt bei Vielen für überraschte Blicke.
Nach ca. 11 Stunden Reisezeit erreichten wir Danzig, wo wir uns noch zwei Tage lang umsahen und auf die Reise vorbereiteten. Besonders zu empfehlen ist das Solidarnosc-Museum (Europäisches Zentrum der Solidarnosc), das einen sehr interessanten Zugang zur Bedeutung der Danziger Werft und der dort gegründeten Gewerkschaft für Polen schafft.
Die polnische Ostseeküste – Von Danzig nach Swinemünde (Eurovelo 10)
Innerhalb von 5 Tagen fuhr unsere 4-köpfige Fahrradmannschaft von Danzig über Gdynia, Leba und Mielna an der Ostseeküste entlang bis nach Swinemünde – der von vollen Campingplätzen und Zigarettenläden geprägten Hafenstadt an der deutsch-polnischen Grenze. Der Eurovelo 10 (Ostseeumrundung) führt entlang spannender Küstenwege, durch atemberaubende Pinienwälder, über Weitblicke erlaubende Feldwege, durch verlassene Dörfer, aber auch durch sehr touristische und stressige Kleinstädte.
Das Radfahren entlang des Eurovelo 10 in Polen erfordert aufgrund der teilweise weniger guten Beschilderung etwas Vorbereitung und definitiv eine Fahrradkarte. Erschwert wird das Radfahren in vielen Streckenabschnitten durch sandige Wege und raue Betonplattenpisten. Eine besonders spannende Herausforderung ist der Streckenabschnitt zwischen XXX und XXX, der durch ein pittoreskes Sumpfgebiet führt. Es gibt zwar mittlerweile im Boden eingesunkene Betonplatten und abschnittsweise bereits sehr morsche Holzstege, aber hier werden selbst sehr erfahrene Radwanderer immer mal absteigen und schieben müssen. Streckenweise, und besonders zwischen Mielno und Swinemünde, erfreuten wir uns jedoch über ideale Fahrradwege und eine makellose Beschilderung.
Campingplätze gibt es an der polnischen Ostseeküste sehr viele. Wir hatten keine Probleme, jeden Nachmittag/Abend spontan einen schönen Platz mit immer sehr freundlichen Gastgeber:innen zu finden. In Erinnerung bleibt ein schöner Campingplatz in einem kleinen Dorf, dessen Gastgeber den Zeltenden eine gut bestückte Zapfanlage auf dem Platz zur Verfügung stellt.
Wir entschieden uns bewusst dafür, uns fast jeden Mittag in einer der zahlreichen Fischbuden mit frittiertem Dorsch, Pommes und Salat zu ernähren. Natürlich gibt es auch viele charmante Gaststätten auf der Route, die klassische polnische Gerichte anbieten. Wir erinnern uns gerne an ein kleines Restaurant mit Garten unmittelbar nach der kräftezerrenden Sumpfstrecke, in der wir einstimmig feststellten, die leckersten Kartoffeln unseres Lebens gegessen zu haben.
Teilweise etwas kurios ist der Tourismus an der polnischen Ostseeküste. Man hat schnell den Eindruck, man befindet sich auf einem Rummel. Schießbuden, Autoscooter, Zuckerwatte und laute Musik an jeder Ecke. Fehlen tut es der polnischen Bevölkerung im Norden des Landes ebenfalls nicht an Wachsfigur-Museen – wir entdeckten allein auf der kurzen Fahrradtour an der Küste drei davon.
Nach 5 erlebnisreichen Tagen (und einem Ruhetag am Strand) erreichten wir Swinemünde, wo wir dann auf die Fähre Richtung Ystad in Südschweden stiegen und Polen verließen.
Ein eindrücklicher Kurzaufenthalt in Schweden – Von Ystad nach Malmö
Das Schöne an langen Fahrradtouren durch Europa ist, dass man die kulturelle und landschaftliche Vielfalt des Kontinents sehr intensiv spürt. Die Menschen sehen anders aus und ziehen sich anders an; die Straßenschilder sehen anders aus; wir verstehen auch hier nichts von dem, was die Menschen sagen; wir nehmen andere Gerüche wahr; die Campingplätze kosten das 8-fache – wir sind in Schweden angekommen. In den folgenden drei Tagen sollte es dann die schwedische Küste entlang von Ystad nach Malmö und zur legendären Öresundbrücke gehen.
Was als Radwanderer direkt positiv auffällt, sind die idealen Fahrbedingungen. Die Route ist sehr gut beschildert, die Fahrradwege sind gut in Schuss. Wenn man in Schweden mit Rad und Zelt unterwegs ist, sollte man unbedingt das Jedermannsrecht (https://de.wikipedia.org/wiki/Jedermannsrecht) ausnutzen. Und zwar nicht nur, weil viele Campingplätze wirklich sehr überteuert sind, sondern auch weil es herrlich ist, problemlos direkt am Meer, am See oder in den schönen schwedischen Wäldern zelten zu können. So schliefen wir die ersten beiden Nächte in der Nähe von Ystad und kurz vor Trelleborg mit Meeresgeräuschen ein und konnten direkt nach dem Aufstehen baden. Ein ganz besonderes Schlaferlebnis hatten wir zudem am Rande eines kleinen Dorfes in der Nähe der Öresundbrücke. Wir fuhren am späten Nachmittag in das Dorf, um bei einem Bauernhof zu fragen, ob wir auf den dazugehörigen Feldern schlafen dürfen. Eine Bäuerin musste dies ablehnen, gab uns aber den Tipp, neben einer kleinen verlassenen Hütte am Rande des Dorfes zu zelten und schenkte uns Gemüse und Obst. 30 Minuten später standen unsere Zelte zwischen dem Waldrand und einer Kuhherde. Dank eines Weitblicks auf das Meer und die Öresundbrücke konnten wir abends den Sonnenuntergang genießen.
Zum Mittagessen empfehlen wir die kleinen Fressbuden an der schwedischen Südküste. Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Pommesbude in einem deutschen Freibad, bei genauerem Hinsehen sieht man jedoch, dass es hier frischen Fisch in Bio-Qualität gibt. Ein sehr authentisches kulinarisches Erlebnis mit Blick aufs Meer. Nach dem Essen sprangen wir kurz ins Meer und schwangen uns wieder auf die Drahtesel. Ebenfalls dort essen waren zwei Männer, die eine längere Reise mit Trekking-Rucksäcken auf E-Scootern machten. Dies bestätigte uns nochmals in unserer Essenswahl.
In Malmö angekommen fuhren wir auf direktem Weg zur Öresundbrücke und überquerten sie mit dem Zug. Aus unerklärlichen Gründen gibt es auf der Brücke keine Fahrradwege – eine Schande. Nach kurzer Überfahrt erreichten wir Kopenhagen, wo wir uns eine dreitägige Ruhepause gönnten.
Von Kopenhagen nach Rostock
Nach einer dreitätigen Ruhepause und einem neu gestochenen Tattoo ging unsere Reise dann im Königreich Dänemark weiter. Hier nutzten wir den extrem gut beschilderten und angenehm befahrbaren Fernradweg Kopenhagen – Berlin (http://www.bike-berlin-copenhagen.com/de/route/die-drei-etappen). In vier Tagen ging es also von der dänischen Hauptstadt über Koge, Stege, die Kreidefelsen von Møn und Falster nach Gedser, den südlichsten Ort Dänemarks.
In Dänemark gibt es kein historisch entstandenes Jedermannsrecht und auch das Campen außerhalb von Campingplätzen ist strikt verboten. Für Fahrradfahrer gibt es jedoch eine überaus praktische Alternative, um kostenlos in der Natur zu schlafen: Lagerplätze mit „Sheltern“ – quasi das dänische Wildcampen. Dabei handelt es sich um ausgewiesene Plätze mit einer überdachten kleinen Holzhütte, neben der meist eine Lagerfeuerstelle und manchmal sogar ein Plumpsklo zur Verfügung stehen. Für die Identifikation dieser teilweise malerischen Orte ist die App „Shelter“ zu empfehlen, in der jeder Platz mit Bildern und Bewertungen eingetragen ist. In Erinnerung bleiben wird uns der eingetragene Shelter auf einem Schulhof. Da wir Sonntagnachmittags dort anreisten, wurden wir am nächsten Morgen von neugierigen Grundschülern geweckt und suchten zügig das Weite.
Wichtig ist, dass man an einem solchen Lagerplatz nur zwei Dinge hinterlässt. Erstens: Nichts. Zweitens: Seinen Dank.
Die Strecke ist sehr angenehm zu fahren und führt sehr oft am Meer entlang, sodass kurze Badepausen gewährleistet sind. Sobald man Kopenhagen verlassen hat, fährt man größtenteils durch kleine Dörfer und entlang malerischer Weizenfelder. Wir fanden einige unvergessliche Essensgelegenheiten in kleinen Gaststätten mit interessanten Gerichten aus regionalen Zutaten. Besonders zu empfehlen ist ein Schwenker über die Halbinsel Møn, deren Bewohner sehr stolz auf ihre Kreidefelsen an der Küste sind.
Nach einer letzten Shelter-Nacht am Südzipfel Dänemarks in Gedser nahmen wir dann die Fähre nach Rostock, die mehrmals täglich hin- und herfährt. Insgesamt blicken wir auf eine eindrückliche und kulturell und landschaftlich abwechselnde Reise zurück, die wir Radwandern mit einem Zeitfenster von 2-3 Wochen wirklich sehr ans Herz legen können.

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